Eine Reihe von Menschen, die auf einer Linie Warten

Was ist die Wartelisten-Mortalität?

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Während Patient*innen auf ein Spender­organ warten, können teilweise mehrere Jahre vergehen. Im schlimmsten Falle sterben sie, bevor die Transplantation stattfinden konnte. Wie lässt sich das Mortalitäts­risiko beurteilen oder sogar verbessern?

Es befinden sich nach wie vor mehr Erkrankte auf der Warteliste für eine Transplantation, als Organe transplantiert werden bzw. zur Verfügung stehen1 Dies verdeutlichen aktuelle Zahlen aus Deutschland z. B. zur Niere, dem am häufigsten transplantierten Organ.2,3 Im Jahr 2022 warteten etwa 6.700 Menschen auf eine neue Niere – dem gegenüber standen nur etwa 1.400 postmortal gespendete Nieren von ca. 900 Spender*innen sowie etwa 500 Lebend­spenden.3 Um den Bedarf sowie die verfügbaren Transplantate zu koordinieren, melden Transplantations­zentren die Patient*innen für die Warteliste an Euro­transplant, jeweils mit Dringlichkeits­stufe in Abhängigkeit des Gesundheits­zustands.1 Aufgrund des hohen Bedarfs ist die Wartezeit oftmals sehr lang: z. B. beträgt die Wartezeit bis zur Nieren­transplantation im Schnitt mehr als 8 Jahre.2 Während dieser Zeit kann es unter Umständen zu einer Verschlechterung des Gesundheits­­zustands und einer Zunahme der Gebrechlichkeit der Transplantations­kandidat*innen, sowie in einigen Fällen zum Tod kommen.2 In Deutschland sind beispielsweise im Jahr 2022 etwa 700 Patient*innen gestorben, während sie auf ein Organ warteten.3

Wartelisten-Mortalität: Gebrechlichkeit als Risikofaktor

Was bedeutet Gebrechlichkeit?4

Gebrechlichkeit beschreibt eine erhöhte Verletzlichkeit gegenüber Stress­faktoren sowie den Funktions­verlust verschiedener physiologischer Systeme. Der Körper kann sich nicht ausreichend gegen innere oder äußere Einflüsse wehren – mögliche Folgen sind Infektionen, Stürze, Behinderungen, Mobilitäts­schwierigkeiten, Krankenhaus­aufenthalte und Tod. Bei Transplantationen, sowie weiteren schweren Erkrankungen, dient die Gebrechlichkeit zur Bewertung der systemischen Funktionen von Patient*innen. Neben der körperlichen Beurteilung werden auch psychische und soziale Funktionen mit einbezogen.

 

Gebrechlichkeit, eine erhöhte Anfälligkeit für Stress­faktoren, ist ein wichtiger Risiko­faktor für Todes­fälle von Personen auf der Transplantations­­liste, wie eine prospektive Studie zeigte.Haugen et al. (2020) untersuchte 882 gebrechliche und nicht gebrechliche Kandidat*innen für Leber­transplantationen.5 Das Ergebnis: Gebrechliche Studien­teilnehmer*innen hatten unabhängig von ihrem Alter, Geschlecht oder Body Mass Index (BMI) ein doppelt so hohes Risiko während ihrer Wartezeit zu versterben.Zudem nahm dieses Risiko über die Zeit zu (siehe Tabelle 1).5 Gebrechliche Personen waren vor allem Studien­teilnehmer*innen höheren Alters (> 65 Jahre).5

Tab. 1: Wartelisten-Mortalität in Bezug auf die Gebrechlichkeit der Transplantationskandidat*innen und Zeit. Modifiziert nach 5.

Somit hat die Gebrechlichkeit von Transplantations­kandidat*innen einen starken Einfluss auf die Wartelisten-Mortalität5 – doch ist dies ein Aspekt, der auf der Transplantations­liste berücksichtigt werden sollte? Eine aktuelle Übersichts­arbeit von McAdams-DeMarco et al. (2023) diskutierte anhand von Daten zu Nieren­transplantations­patient*innen, ob die Gebrechlichkeit bei der Vergabe von Organen einberechnet werden sollte.6 Nach Abwägung verschiedener Pro- und Contra-Argumente (siehe Tabelle 2), kamen die Autoren zu dem Schluss, dass die Gebrechlichkeit von potentiellen Nieren­empfänger*innen auf der Transplantations­liste mitberücksichtigt werden sollte.6

Tab. 2: Pro- und Contra-Argumente, ob die Gebrechlichkeit von Nierentransplantationskandidat*innen auf der Warteliste berücksichtigt werden sollte. Modifiziert nach 6.

Wie kann die Gebrechlichkeit gesenkt werden?

Um die Gebrechlichkeit von Transplantations­kandidat*innen und damit ebenfalls die Wartelisten-Mortalität zu senken, können zusätzlich zur Behandlung der Grund­erkrankung verschiedene Interventionen ergriffen werden.Studien deuteten auf einen positiven Effekt von u. a. folgenden Maßnahmen, als alleinige Intervention wie auch in Kombination, hin:4

  1. Bewegung und körperliche Aktivität
  2. Verbesserte Ernährung und Versorgung des Körpers mit ausreichend Nähr­stoffen
  3. Psychologische Interventionen zur Stress­reduktion (z. B. Atem­übungen, Musikt­herapie)
  4. Als weitere Eskalationsstufe: Medikamentöse Therapie

 

Um diese Interventionen effektiv einleiten zu können, ist es wichtig, gebrechliche Patient*innen frühzeitig zu identifizieren.4 Dabei können Bewertungs­fragebögen, wie der Physical-Frailty-Phenotype (PFP) und Frailty-Index (FI) (als Beispiele für Nieren­transplantat­empfänger*innen) helfen.4

 

Fazit

Das Un­gleichgewicht zwischen durchgeführten Organ­spenden und Patient*innen auf der Warte­liste kann zu langen Warte­zeiten und Todes­fällen führen.2 In Deutschland kam es im vergangenen Jahr zu etwa 750 Sterbe­fällen von Patient*innen, die auf der Warte­liste standen.3 Als wichtiger Einfluss­faktor auf das Sterbe­risiko wurde die Gebrechlichkeit der Transplantations­kandidat*innen identifiziert.5 Durch verschiedene Maßnahmen, wie einem gesunden Lebens­stil (Bewegung, Ernährung) oder Interventionen zur Stress­reduktion, lässt sich diese jedoch verbessern.4

Abkürzungen

BMI: Body Mass Index

FI: Frailty-Index

PFP: Physical-Frailty-Phenotype

Referenzen

  1. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Wartelistenführung und Vermittlung von Organen, URL: https://www.organspende-info.de/organspende/ablauf-einer-organspende/wartelisten-vermittlung-transplantation/ (zuletzt aufgerufen 17.11.2023).
  2. IQWiG, Nierentransplantationen: Bessere Ergebnisse bei größeren Fallzahlen ableitbar, URL: https://www.iqwig.de/presse/­pressemitteilungen/­pressemitteilungen-detailseite_9947.html (zuletzt aufgerufen 17.11.2023).
  3. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Statistiken zur Organspende für Deutschland und Europa, URL: https://www.organspende-info.de/zahlen-und-fakten/­statistiken/ (zuletzt aufgerufen 17.11.2023).
  4. Huawei C et al. Chin Med J (Engl) 2023; 136(9): 1026–1036.
  5. Haugen CE et al. Ann Surg 2020; 271(6): 1132–1136.
  6. McAdams-DeMarco et al. Clin Kidney J 2023; 16(5): 809–816.

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