ein Baby, das aus einer Flasche trinkt

Target-Fortifizierung und Nährstoff-Supplementation

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Maßgeschneiderte Muttermilch

Muttermilch ist aus biologischer Sicht die beste Nahrung für ein Frühgeborenes. Aber ihr Nährstoffgehalt genügt nicht, um dieses immense Wachstum zu ermöglichen. Auch Standard-Fortifier sind dazu nicht ausreichend, davon ist Niels Rochow von der Arbeitsgruppe „Neonatal Growth, Nutrition and Metabolism“ an der McMaster University in Hamilton/Ontario und am Klinikum Nürnberg überzeugt. Er propagiert stattdessen eine individualisierte Target-Fortifizierung. Außerdem benötigen Frühgeborene dringend Spurenelemente wie Eisen, um nicht in eine Eisenmangel-Anämie abzurutschen, mahnte Wiechers.

 

Ein großer Anteil aller VLBW-Frühgeborenen ist bei Geburt mit einem Körpergewicht unter der 10. Perzentile für das Gestationsalter zu klein (SGA). Wie Rochow schilderte, schnitten SGA-Frühgeborene, die ihr Wachstumsdefizit (gemessen am Kopfumfang) im Verlauf des ersten Lebensjahres aufholen konnten, in neurokognitiven Tests während der Kindheit und im Erwachsenenalter ähnlich ab wie Kinder ohne Wachstumsrestriktion, was für die Kinder ohne Aufholwachstum nicht der Fall war.¹ Ideal wäre es, wenn das Wachstumsdefizit in den ersten Lebensmonaten vermieden werden könnte. De facto bleiben aber häufig die Wachstumskurven sehr unreifer Frühgeborener bereits während des stationären Aufenthaltes auf der Frühgeborenenstation deutlich hinter denen intrauteriner Feten zurück.²⁻³ Um dies zu ändern, genügt es laut Rochow nicht, einfach nur mehr Energie zuzuführen: „In dem Fall bekommen wir zwar ein exzessiv höheres Wachstum, das aber überwiegend Fettgewebe erzeugt – das ist nicht optimal.“ Um Frühgeborenen ein Wachstum zu ermöglichen, das ihrem genetischen Potenzial entspricht, sollte das Verhältnis von Kalorien – geliefert von allen drei Makronährstoffen (Proteinen, Fetten und Kohlenhydraten) – fein aufeinander abgestimmt sein.⁴

 

Um diesem Bedarf gerecht zu werden, hält Rochow Muttermilch ohne Zusätze aufgrund ihres zu niedrigen Proteingehaltes nicht für ausreichend.⁵ Hinzu kommt, dass der Nährstoffgehalt in der Milch extrem variabel ist.⁶ Dabei korrelieren die Konzentrationen der unterschiedlichen Nährstoffanteile nicht miteinander – es ist also beispielsweise möglich, dass der Proteingehalt in einer Muttermilchprobe eher niedrig ist, während Fette oder Laktose in großer Menge vorkommen. Häufig wird Muttermilch für Frühgeborene ein Standard-Fortifier zugesetzt. „Aber dadurch werden die Inhaltsstoffe der Muttermilch einfach nur auf ein höheres Niveau gehoben – der Fortifier ändert nichts an der Variabilität, sodass viele Frühgeborene trotzdem noch eine Milch erhalten, die nicht die für sie optimalen Nährstoffe enthält.“ Diese Auffassung stützt eine Studie von Henriksen et al., in der über die Hälfte von 127 VLBW-Frühgeborenen trotz Standard-Fortifizierung der Muttermilch ihr Wachstumsdefizit nicht aufholen konnten.⁷

Individuelle Anreicherung nach Bedarf

Als Lösung für dieses Dilemma propagiert Rochow die individualisierte Target-Fortifizierung. Dabei werden die Makronährstoffe in der Milch mit speziellen Milchanalysatoren gemessen, ein Standard-Fortifier zugesetzt und das Ganze dann entsprechend der Analyse bei Bedarf individuell mit Fetten, Kohlenhydraten und/oder Proteinen ergänzt. Diese Form der individuell angereicherten Muttermilch wurde in einer Pilotstudie an 10 VLBW-Frühgeborenen und danach in einer randomisierten Studie mit mehr als 100 VLBWFrühgeborenen erfolgreich getestet.⁸⁻⁹ „Das bedeutet, wenn die Konzentration der Makronährstoffe in der Muttermilch bekannt ist und optimiert wird, können wir auch das Wachstum des Kindes gezielt unterstützen“, so Rochow. „Wichtig ist dabei, die Regeln von Good Laboratory and Clinical Practice (GLCP) anzuwenden“.¹⁰⁻¹¹⁻¹²

Spärliche Eisenspeicher

Um diese Wachstumsleistung zu stemmen, braucht ein Frühgeborenes jedoch mehr als nur Makronährstoffe. Dringend benötigt wird beispielsweise Eisen, erinnerte Cornelia Wiechers, Tübingen. Ohne Eisensupplementation würden die meisten Frühgeborenen rasch eine Eisenmangelanämie entwickeln, die ihrerseits das neurologische Outcome erheblich beeinträchtigen kann. Diese Defizite sind auch mit einer nachträglichen Eisentherapie oft nicht vollständig reversibel, was die Bedeutung der prophylaktischen Eisensubstitution unterstreicht.¹³⁻¹⁴⁻¹⁵ Reife Neugeborene kommen in der Regel mit einem Eisenspeicher von etwa 250mg zur Welt – also etwa 70mg pro Kilogramm Körpergewicht. Diesen Vorrat benötigen sie auch, denn Muttermilch enthält nur relativ wenig Eisen, sodass im Alter von etwa sechs Monaten, wenn der Säugling sein Geburtsgewicht etwa verdoppelt hat, der Eisenspeicher nahezu komplett geleert ist.

 

Ein einfaches Mittel, um Frühgeborenen ein Eisen-Plus zu sichern, ist die verzögerte Abnabelung. Sie beschert den Frühgeborenen etwa 20 ml/kg Blut, sprich: 10mg/kg Eisen – ähnlich viel wie eine Transfusion. Um durch enterale Substitution auf die gleiche Menge zu kommen, dauert es bei einer täglichen Eisendosis von 2mg/kg und einer durchschnittlichen Resorptionsrate von 10 % etwa 50 Tage, rechnete Wiechers vor.

 

Insgesamt ist man sich einig, dass Frühgeborenen Eisen substituiert werden sollte. Dies wird auch durch eine große Metaanalyse gestützt, die gezeigt hat, dass die Kinder durch die Eisengaben einen höheren Hämoglobinspiegel und besser gefüllte Eisenspeicher aufweisen und daher seltener eine Eisenmangel-Anämie entwickeln.¹⁶ Ob sich dies jedoch auch in einem günstigeren neurokognitiven Outcome im Langzeitverlauf niederschlägt, wurde in den analysierten Studien nicht untersucht. „Wahrscheinlich ist eine Dosierung von 2 bis maximal 3mg/kg Eisen ausreichend, wie es auch von den Leitlinien der AWMF und der ESPGHAN empfohlen wird“, so Wiechers. Da die hormonelle Regulation der enteralen Eisenaufnahme auch schon bei Frühgeborenen möglich ist, kann unter Umständen bei restriktiven Transfusionsgrenzen auch eine höhere Eisendosierung sinnvoll sein.

Problematische Compliance im heimischen Setting

Beginnen sollte man die Substitution – vorzugsweise oral – in der zweiten bis achten Lebenswoche, um sie dann bis zum Ende des ersten Lebensjahres fortzusetzen. „Unter diesem Regime haben wir keine Eisenmangel-Anämien im Follow-up“, versicherte Wiechers. Trotzdem präsentiert sich in Tübingen rund jedes zehnte Frühgeborene bei der Nachsorgeuntersuchung im korrigierten Alter von vier Monaten mit einem Eisenmangel. „Das liegt daran, dass viele Eltern mit der Eisengabe aufhören – sei es auf Rat der Hebamme oder des niedergelassenen Kinderarztes oder aus eigenem Entschluss. Dabei ist die Angst vor Nebenwirkungen, insbesondere im Gastrointestinaltrakt, unbegründet: „In den entsprechenden Studien sieht man bei den Nebenwirkungen keinen Unterschied zur Kontrollgruppe ohne Eisensupplementation“, so Wiechers. „Aber vieles, was den Bauch betrifft, wird dann doch immer wieder dem Eisen zugeschrieben.“ Diesbezüglich besteht daher offenbar noch einiger Aufklärungsbedarf.

Blutentnahme: Jeder ml kostet 0,5mg Eisen

Zwar verfügt auch ein Frühgeborenes über etwa 70mg Eisen pro Kilo – in absoluten Zahlen aber deutlich weniger als ein Reifgeborenes. Und da es enorm schnell wächst, ist dieser spärliche Vorrat rasch aufgebraucht. „Das heißt, die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es sehr viel früher in eine Eisenmangelanämie rutscht“, so Wiechers – zumal zusätzlich zu raschem Wachstum und niedrigem Eisenvorrat auch noch der Eisenverlust durch Blutentnahmen hinzukommt. Dieser Faktor sollte nicht unterschätzt werden, denn immerhin enthält jeder Milliliter Blut etwa 0,5mg Eisen.

 

 

Referent: Dr. Niels Rochow, Department of Pediatrics, McMaster University, Hamilton, Ontario/Kanada

Vortrag: Messungen der Muttermilch – brauchen wir das wirklich?

Referentin: Dr. Cornelia Wiechers, Abteilung für Neonatologie, Universitätskinderklinik Tübingen

Vortrag: Nahrungszusätze: Fe, Ca, P, Vitamine …? Was, wann und wie?

 

Referenzen

[1] Brandt I, Sticker EJ, Lentze MJ. Catch-up growth of head circumference of very low birth weight, small for gestational age preterm infants and mental development to adulthood. J Pediatr 2003; 142: 463–8; Erratum in: J Pediatr 2004; 144: 412.

[2] Ehrenkranz RA, Younes N, Lemons JA, et al. Longitudinal growth of hospitalized very low birth weight infants. Pediatrics 1999; 104: 280–9.

[3] Horemuzova E, Söder O, Hagenäs L. Growth charts for monitoring postnatal growth at NICU of extreme pretermborn infants. Acta Paediatr 2012; 101: 292–9.

[4] Kashyap S, Ohira-Kist K, Abildskov K, et al. Effects of quality of energy intake on growth and metabolic response of enterally fed low-birth-weight infants. Pediatr Res 2001; 50: 390–7.

[5] Weber A, Loui A, Jochum F, et al. Breast milk from mothers of very low birthweight infants: variability in fat and protein content. Acta Paediatr 2001; 90: 772–5.

[6] Rochow N, Fusch G, Choi A, et al. Target fortification of breast milk with fat, protein, and carbohydrates for preterm infants. J Pediatr 2013; 163: 1001–7.

[7] Henriksen C, Westerberg AC, Rønnestad A, et al. Growth and nutrient intake among very-low-birth-weight infants fed fortified human milk during hospitalisation. Br J Nutr 2009; 102: 1179–86.

[8] [vgl. 6] Rochow N, Fusch G, Choi A, et al. Target fortification of breast milk with fat, protein, and carbohydrates for preterm infants. J Pediatr 2013; 163: 1001–7.

[9] Rochow N, Fusch G, Ali A, et al. Target fortification of breast milk with protein, carbohydrate and fat for preterm infants improves growth outcomes: a double-blind randomized controlled trial.J Pediatr Neonatol Individ Med 2017; 6: e060238.

[10] Fusch G, Rochow N, Choi A, et al. Rapid measurement of macronutrients in breast milk: How reliable are infrared milk analyzers? Clin Nutr 2015; 34: 465–76.

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[12] Fusch G, Kwan C, Rochow N, Fusch C. MAMAS study group. Milk analysis using milk analyzers in a standardized setting (MAMAS) study. Monatsschr Kinderheilkd 2017; 165 (Suppl. 1): S20 10.1007/s00112-017-0301-5.

[13] Logan S, Martins S, Gilbert R. Iron therapy for improving psychomotor development and cognitive function in children under the age of three with iron deficiency anaemia. Cochrane Database Syst Rev 2001; 2: CD001444.

[14] Wang B, Zhan S, Gong T, Lee L. Iron therapy for improving psychomotor development and cognitive function in children under the age of three with iron deficiency anaemia. Cochrane Database Syst Rev 2013; 6: CD001444.

[15] Armony-Sivan R, Eidelman AI, Lanir A, et al. Iron status and neurobehavioral development of premature infants. J Perinatol 2004; 24: 757–62.

[16] Mills RJ, Davies MW. Enteral iron supplementation in preterm and low birth weight infants. Cochrane Database Syst Rev 2012; 3: CD005095.

 

 

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