Hoffnung aus dem Reagenzglas
Es hätte viele Vorteile, wenn man zur RDS-Therapie auf ein wirksames synthetisch erzeugtes Surfactant zurückgreifen könnte statt auf Produkte tierischer Herkunft. Die pharmazeutische Qualität ließe sich leichter gewährleisten, die Wirkstoffvariabilität von Charge zu Charge wäre geringer und die Sorge um eine potenzielle infektiöse Problematik würde ebenso entfallen wie religiöse oder ethische Probleme im Zusammenhang mit der Verwendung tierischer Produkte. Die gute Nachricht: Daten aus einer ersten randomisiert kontrollierten Studie deuten darauf hin, dass das synthetisch erzeugte Surfactant CHF5633 klinisch ähnlich effektiv ist wie konventionelle, natürliche Surfactantpräparate.
Surfactant besteht überwiegend aus Phospholipiden. Ideal wäre, im synthetischen Surfactant die natürliche Phospholipid-Zusammensetzung zu kopieren – doch dazu ist sie viel zu komplex. Über 50 verschiedene Phospholipide konnte man bisher identifizieren. Mit 30 – 40 % hat Dipalmitoyl-Phosphatidylcholin (DPPC) den größten Anteil. Es ist hauptverantwortlich für die oberflächenaktive Wirkung von Surfactant, spreitet aber nur langsam und hat eine Schmelztemperatur von 41°C – daher genügt es nicht, ausschließlich DPPC in einem synthetischen Surfactant zu verwenden, erläuterte Tore Curstedt, Stockholm. Mindestens der Zusatz von Phosphatidylglycerol ist unerlässlich, um das Gemisch zu verflüssigen und die Spreitfähigkeit zu erhöhen.
Die Surfactantproteine (SP) sind dagegen mit nur knapp 10 % am Surfactantvolumen beteiligt: SP-A und SP-D machen etwa 4 bis 7 % aus und SP-B und SP-C nur 1 bis 2 %. Die immunologisch wichtigen SP-A und -D werden als hydrophile Proteine bei der Surfactantaufbereitung ausgewaschen. Die beiden hydrophoben Proteine SP-B und SP-C sind zur Alveolenstabilisierung und damit für die biophysikalische Funktion von Surfactant ganz entscheidend. Doch ihre Herstellung stellt die Wissenschaftler immer wieder vor neue Herausforderungen. Die entsprechenden Aminosäuresequenzen lassen sich zwar korrekt synthetisieren, „aber sie legen sich nicht zu den funktionell richtigen Sekundär- und Tertiärstrukturen zusammen. Stattdessen sind sie labil und verklumpen leicht“, schilderte Curstedt die Probleme.
Analoga für SP-B und SP-C erhöhen die biologische Wirksamkeit
Da sich die „echten“ Surfactantproteine nicht künstlich herstellen lassen, konzentriert man sich darauf, chemisch simpler aufgebaute Analoga mit gleicher biologischer Wirksamkeit zu entwickeln. Solche Analoga sind in der synthetischen Surfactantpräparation CHF5633 enthalten: Es setzt sich zusammen aus 0,2 % SP-B-Analog mit 33 Aminosäuren und 1,5 % SP-C-Analog mit 34 Aminosäuren. Hinzu kommen zu jeweils gleichen Teilen Dipalmitoyl-Phosphatidylcholin (DPPC) und Palmitoyloleoyl-Phosphatidylglycerol (POPG). „Es sieht genauso aus, fühlt sich an wie Poractant alfa und es lässt sich auch genauso anwenden“, schilderte David Sweet, Belfast.
Nachdem die Substanz intensive In-vitro- Versuche erfolgreich durchlaufen und sich im Tierversuch als ähnlich effektiv wie Poractant alfa gezeigt hat, wurde sie kürzlich in ersten klinischen Studien bei Frühgeborenen eingesetzt. In einer multinationalen Phase-IStudie mit Frühgeborenen zwischen 27+0 und 33+6 Gestationswochen und einem Alter von maximal 48 Stunden wurden Sicherheit und Verträglichkeit geprüft.1 Einschlusskriterien waren klinische und radiologische Zeichen eines RDS sowie ein Sauerstoffbedarf (FiO2) von mindestens 35 %. Die ersten 20 in die Studie aufgenommenen Frühgeborenen erhielten 100 mg/kg CHF5633; nachdem diese Dosis sich als sicher und gut verträglich erwiesen hatte, wurde sie bei den nächsten 20 Kindern auf 200 mg/kg gesteigert.
CHF5633 stellt Wirksamkeit und Verträglichkeit unter Beweis
In beiden Dosierungsgruppen sank der FiO2 nach CHF5633-Applikation innerhalb einer halben Stunde anhaltend von im Durchschnitt 50 auf etwa 25 %. „Das ist das gleiche Ansprechen, wie wir es auch von einem natürlichen Surfactant erwartet hätten“, konstatierte Sweet. Da einige Kinder das Surfactant mit der INSURE-Technik erhalten hatten, war die durchschnittliche Dauer der mechanischen Beatmung in beiden Gruppen relativ kurz mit im Schnitt 0,7 Tagen nach 100 mg/kg bzw. 0,3 Tagen nach 200 mg/kg CHF5633. Außerdem waren die Frühgeborenen, die die höhere Surfactantdosis erhalten hatten, im Vergleich zur niedriger dosierten Kohorte nur knapp halb so lang auf eine nichtinvasive Atmungsunterstützung angewiesen (durchschnittlich 6,7 vs. 14,4 Tage).
Insgesamt drei Kinder benötigten eine Rescue-Behandlung mit Poractant alfa. Diese war im Protokoll vorgesehen, wenn der FiO2 innerhalb einer Stunde nach der primären Gabe nicht um mindestens 10 % gesunken war. Dies war bei einem Frühgeborenen der „Low-dose“-Gruppe der Fall, das jedoch auch auf zwei Gaben von Poractant alfa nicht ansprach. Zwei weitere Frühgeborene – jeweils eines aus jeder Gruppe – benötigte nach initial gutem Ansprechen im Verlauf erneut Surfactant. Zum Ausschluss einer systemischen Surfactantaufnahme wurde zum Zeitpunkt der Surfactantgabe sowie nach 3 und nach 24 Stunden im peripheren Blut nach Spuren des SP-C-Analogs gefahndet. Diese waren jedoch bei keinem Kind und zu keinem Zeitpunkt nachweisbar, ebenso wie Zeichen einer Immunreaktion auf die synthetischen SP-Peptide. Unerwartete schwere Nebenwirkungen, im Zusammenhang mit der Therapie wurden nicht beobachtet.
Ermutigende Outcome-Daten nach zwei Jahren
Im korrigierten Alter von zwei Jahren wurde das neurokognitive Outcome mit Hilfe des Bailey-Scale-Tests evaluiert und der gesundheitliche Status durch einen Fragebogen erfasst. Es konnten 17 Kinder der 100- und 18 der 200-mg/kg-Gruppe untersucht werden. Auch diese Ergebnisse klingen ermutigend: Nur ein Kind der „Low-dose“-Kohorte wies einen auffälligen Bayley-Test auf. Darüber hinaus gab es ein Kind in der Hoch-Dosis- Gruppe, das eine Zerebralparese entwickelt hatte und ein Kind in der Niedrig-Dosis- Gruppe mit einer Hörstörung. Insgesamt sieben Kinder aus beiden Gruppen zeigten eine verzögerte Sprachentwicklung. „Das entspricht genau dem, was wir erwarten würden“, relativierte Sweet.
CHF5633 und Poractant alfa Kopf an Kopf
Angesichts dieser ermutigenden Daten war der Weg frei für eine größere randomisierte Studie. In einem ersten multizentrischen Phase-2-Trial wurde CHF5633 in den USA gegen Poractant alfa getestet (NCT02452476).² Die Ergebnisse präsentierte Rangasamy Ramanathan, Los Angeles. Während des Rekrutierungszeitraums von Dezember 2015 bis Februar 2018 wurden in den 17 teilnehmenden Zentren in den USA Frühgeborene mit 24+0 bis 29+6 Gestationswochen in die Studie aufgenommen, wenn sie innerhalb der ersten 24 Lebensstunden wegen eines RDS Surfactant benötigten. Klinische Endpunkte der Studie waren die Notwendigkeit einer erneuten Surfactantdosis, die Dauer des Beatmungs- und Sauerstoffbedarfs sowie das Überleben ohne BPD.
Es wurden 56 Frühgeborene im Interventionsarm mit CHF5633 behandelt, während 57 in der Kontrollgruppe Poractant alfa erhielten. Die Baseline-Charakteristika – Gestationsalter, Geburtsgewicht, pränatale Steroide, Kaiserschnittrate, Apgar-Score und Ausgangs- FiO 2 – waren in beiden Behandlungsarmen nahezu identisch.
Die Ergebnisse der Studie sind rasch zusammengefasst: In keiner der untersuchten Outcome-Parameter war ein statistisch relevanter Unterschied zwischen den Gruppen messbar. Der Sauerstoffbedarf ging in beiden Gruppen in identischer Weise zurück, die Rate der Kinder, die eine zweite Surfactantdosis benötigten, unterschied sich ebenso wenig wie die Dauer der invasiven und der nicht-invasiven Beatmung. Tod oder BPD waren ebenfalls in beiden Gruppen gleich häufig.
Ramanathans Fazit: Die Studiendaten bestätigen die günstigen Ergebnisse der Pilotstudie mit CHF5633 und sollten Anlass sein, dieses synthetische Surfactant in weiteren, größer angelegten klinischen Studien zu erproben.
Referent: Prof. Dr. Tore Curstedt, Karolinska Institut, Karolinska University Hospital, Stockholm/Schweden
Vortrag: Development of synthetic surfactant for clinical use
Referent: Dr. David Sweet, Royal Maternity Hospital, Belfast/UK
Vortrag: Clinical trials with synthetic surfactant
Referent: Prof. Dr. Rangasamy Ramanathan, Good Samaritan Hospital, Los Angeles, Keck School of Medicine, University of Southern California, Kalifornien/USA
Vortrag: Efficacy and safety of synthetic surfactant (CHF5633) versus porcine surfactant, Poractant Alfa in the treatment of respiratory distress syndrome in preterm infants: A multicenter, double blind randomized clinical trial
[1] Sweet DG, Turner MA, Stra ák Z, et al. A first-in-human clinical study of a new SP-B and SP-C enriched synthetic surfactant (CHF5633) in preterm babies with respiratory distress syndrome. Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed 2017; 102: F497 – F503.
[2] NCT02452476 ongoing trial: A Double Blind, Randomized, Controlled Study to Compare CHF 5633 (Synthetic Surfactant) and Poractant Alfa in RDS. https://clinicaltrials.gov/ ct2/show/NCT02452476.
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