ein Baby mit einem Schlauch im Gesicht

Schutz von Lunge und Gehirn

4 Minuten

Altes, Neues und Wiederentdecktes

Die Beatmung Frühgeborener im Kreißsaal stellt eine wichtige, aber noch immer zu wenig kontrollierte Intervention dar. Zu hohe Tidalvolumina, die unmittelbar postnatal verabreicht werden, können einen Einfluss sowohl auf die Blutgefäße als auch die Alveolen nehmen, sodass bei diesen Kindern das Risiko für Lungen- und Hirnschädigungen erhöht ist.¹ Dass die neonatale Transition in der ersten „goldenen Stunde“ ein sensibles Fenster für den Schutz von Lunge und Gehirn darstellt, machte PD Dr. Angela Kribs, Köln, während ihres Vortrags deutlich.

 

Um während der neonatalen Transition ein ausreichendes Blutvolumen für die Eröffnung des pulmonalen Gefäßbettes zur Verfügung zu stellen, muss das Blut von der Plazenta in die Lunge des Kindes transferiert werden. Die plazentare Transfusion stellt somit ein essenzielles Element zur Unterstützung der neonatalen Transition dar. Bereits 1801 postulierte Erasmus Darwin, dass das Durchtrennen der Nabelschnur erst erfolgen sollte, wenn das Kind gleichmäßig atmet und jegliche Pulsation in der Nabelschnur aufgehört hat. Erst in den letzten Jahren ist auch für Frühgeborene und postnatal deprimierte Kinder die Frage aufgeworfen worden, ob auch diesen Kindern eine Spätabnabelung nutzen kann.

Plazentare Transfusion als eine wiederentdeckte Strategie

Mittlerweile werden verschiedene Möglichkeiten zur Spätabnabelung in der Neonatologie diskutiert oder bereits erfolgreich eingesetzt. Die ideale Strategie zur plazentaren Transfusion in unterschiedlichen geburtshilflichen Situationen (Sectio, Spontangeburt, asphyktisches Kind) ist jedoch noch unklar, merkte Kribs an.

 

Von der europäischen Konsensus-Leitlinie zur Therapie des Atemnotsyndroms Frühgeborener wird ein Abnabeln frühestens 60 Sekunden nach Geburt des Kindes und unter Erhalt des plazentaren Gasaustauschs unabhängig vom Einsetzen der Spontanatmung empfohlen (Delayed Cord Clamping, DCC).² Eine Spätabnabelung bei Frühgeborenen nach mehr als 60 Sekunden ist mit einer Reduzierung der Hospital-Mortalität und von intraventrikulären Blutungen jeglichen Grades assoziiert. Für die Subgruppe der extrem Frühgeborenen mit einem Gestationsalter ≤ 28 Wochen ist ebenfalls eine Reduzierung der Hospital-Mortalität und von Bluttransfusionen, nicht jedoch von intraventrikulären Blutungen nachweisbar.³ Alternativ zum DCC kann die Nabelschnur in Richtung des Kindes vor Lösung der Plazenta ausgestrichen werden (Umbilical Cord Milking, UCM). Diese Methode wird insbesondere angewendet, wenn die Kinder postnatal deprimiert erscheinen oder via Sectio geboren wurden. Die Methode bietet den Vorteil, dass der Geburtshelfer das Kind schneller an den Neonatologen übergeben kann und nicht 60 Sekunden – wie beim DCC – warten muss. Ein weiterer Vorteil der Methode ist, dass das Ausstreichen der Nabelschnur zum Kind hin den Blutfluss von der Plazenta zum Kind fördert. Wenn das Kind anfängt zu atmen, führt dies zu einer Erhöhung des pulmonalen und zerebralen Blutflusses. Frühgeborene, die mit UCM behandelt wurden, zeigten im Vergleich zu mit DCC-behandelten Frühgeborenen in den ersten Lebensstunden einen besseren Blutfluss in der oberen Hohlvene und die Auswurfleistung des rechten Ventrikels war signifikant höher.⁴

Neuere Untersuchungen diskutieren nun ein Abnabeln nach Einsetzen von Spontanatmung oder nach Beginn von Atemunterstützung oder Beatmung unter Erhalt der plazentaren Perfusion. Dieses Vorgehen wurde bislang nur im experimentellen Setting untersucht. Durch Untersuchungen bei Lämmern konnte durch das verzögerte Abnabeln bis zum Beginn der Ventilation eine größere hämodynamische Stabilität erzielt werden.⁵ Eine erste kleine Studie mit Frühgeborenen, denen nach 60 Sekunden die Nabelschnur durchtrennt wurde, zeigte, dass Kinder mit Atemunterstützung eine signifikant niedrigere Stimulationsdauer benötigten. Bei den meisten Outcome-Parametern lagen jedoch keinerlei Unterschiede zum Vergleichsarm (Frühgeborene ohne Atemunterstützung) vor.⁶

 

Eine weitere Möglichkeit der Spätabnabelung, die vor Jahrzehnten bereits beschrieben wurde, ist die extrauterine plazentare Transfusion (EPT).⁷ Diese Methode kann insbesondere bei SectioGeburten angewendet werden. Das Kind wird dabei mit der Plazenta geboren und die Nabelschnur wird erst nach Beginn der Ventilation durchtrennt. Bereits nach den ersten Atemzügen kollabiert die Nabelschnur, was die Umverteilung des Blutes aus der Plazenta in die Lunge widerspiegelt. Laut Kribs könnte die EPT sinnvoll sein, da dem Frühgeborenen das Blutvolumen dann zur Verfügung gestellt wird, wenn es benötigt wird, um das pulmonale Gefäßbett aufzufüllen.

 

Bei reifen Neugeborenen geht eine plazentare Transfusion durch eine Spätabnabelung mit einem positiven Einfluss auf die Entwicklung des Gehirns einher.⁸ Zugleich ist die Myelinisierung im Gehirn nach einer Spätabnabelung signifikant verbessert.⁹ Ein weiterer Vorteil der plazentaren Transfusion ist, dass dem Kind hämatopoetische Stammzellen zur Verfügung gestellt werden.¹⁰ Was das für die langfristige Entwicklung des Kindes zur Folge hat, ist derzeit noch unklar. Es wird spekuliert, dass das späte Abnabeln eine „frühe Stammzelltherapie“ darstellen könnte, die eventuell auch Alterserkrankungen vorbeugen kann.

 

 

 

Referenzen


  1. Barton SK, Tolcos M, Miller SL, et al. Unraveling the links between the initiation of ventilation and brain injury in preterm infants. Frontiers in Pediatrics 2015; 3(97)

  2. Sweet DG, Carnielli V, Greisen G, et al. European consensus guidelines on the management of neonatal respiratory distress syndrome in preterm infants – 2013 update. Neonatology 2013; 103(4): 353–68.
  3. Fogarty M, Osborn DA, Askie L, et al. Delayed vs early umbilical cord clamping for preterm infants: a systematic review and meta-analysis. Am J Obstet Gynecol 2018; 218(1): 1–18.
  4. Katheria A, Truong G, Cousins L, et al. Umbilical cord milking versus delayed cord clamping in preterm infants. Pediatrics 2015; 136(1): 61–9.
  5. Hooper SB, Te Pas AB, Lang J, et al. Cardiovascular transition at birth: a physiological sequence. Pediatr Res 2015; 77(5): 608–14.
  6. Katheria A, Poeltler D, Durham J, et al. Neonatal resuscitation with an intact cord: A randomized clinical trial. J Pediatr 2016; 178: 75–80.e3.
  7. Dunn PM. The importance of the umbilical circulation in preventing respiratory di tress syndrome following premature Caesarean delivery, 1957–1973. WEMJ 2017; 116(2); Article 6.
  8. Rana N, Kc A, Malqvist M, et al. Effect of delayed cord clamping of term babies on neurodevelopment at 12 months: A randomized controlled trial. Neonatology 2019; 115(1): 36–42.
  9. Mercer JS, Erickson-Owens DA, Deoni SCL, et al. Effects of delayed cord clamping on 4 month ferritin levels, brain myelin content, and neurodevelopment: A randomized controlled trial. J Pediatr 2018; 203: 266–72.e2.
  10. Lawton C, Acosta S, Watson N, et al. Enhancing endogenous stem cells in the newborn via delayed umbilical cord clamping. Neural Regen Res 2015; 10(9): 1359–62.
  11. Härtel C, Paul P, Hanke K, et al. Less invasive surfactant administration and complications of preterm birth. Sci Rep 2018; 8(1): 8333.
  12. Lodha A, Entz R, Synnes A, et al. Early caffeine administration and neurodevelopmental outcomes in preterm infants. Pediatrics 2019; 143(1).
  13. Katheria A, Sauberan JB, Akotia D, et al. A pilot randomized controlled trial of early versus routine caffeine in extremely premature infants. Am J Perinatol 2015; 32(9): 879–86.
  14. Dekker J, Hooper SB, van Vonderen JJ, et al. Caffeine to improve breathing effort of preterm infants at birth: a randomized controlled trial. Pediatr Res 2017; 82(2): 290–6.
  15. Spiegler J, Preuss M, Gebauer C, et al. Does breastmilk influence the development of bronchopulmonary dysplasia? J Pediatr 2016; 169: 76–80.e4.
  16. Roze JC, Darmaun D, Boquien CY, et al. The apparent breastfeeding paradox in very preterm infants: relationship between breast feeding, early weight gain and neurodevelopment based on results from two cohorts, EPIPAGE and LIFT. BMJ Open 2012; 2(2): e000834.
  17. Biran V, Phan Duy A, Decobert F, et al. Is melatonin ready to be used in preterm infants as a neuroprotectant? Dev Med Child Neurol 2014; 56(8): 717–23.
  18. Katzer D, Pauli L, Mueller A, et al. Melatonin concentrations and antioxidative capacity of human breast milk according to gestational age and the time of day. J Hum Lact 2016; 32(4): Np105–1.

 

 

Pflichttext Curosurf®

 

 

Pflichttext Peyona®

 

 

4 Minuten

Inhalt teilen