LISA steht nicht für sich allein
Die weniger invasive Surfactantgabe (Less Invasive Surfactant Application), das sogenannte LISA-Verfahren, kann die Chancen für unreife Frühgeborene verbessern, ohne bronchopulmonale Dysplasie (BPD) oder schwere Behinderung zu überleben. Obwohl der Begriff LISA lediglich den Modus der Surfactantgabe beschreibt, gehört das Verfahren zu einem ganzen Bündel an Maßnahmen, die wahrscheinlich gemeinsam den Erfolg von LISA ausmachen – so die Quintessenz eines Übersichtsvortrags von Egbert Herting, Lübeck, und einer Roundtable-Diskussion zu praktischen Aspekten der LISA-Methode.
Das LISA-Verfahren wurde entwickelt, um Frühgeborenen die Intubation bei der Surfactantgabe zu ersparen. LISA ist keine Intubation im klassischen Sinne, da statt einem Tubus ein Katheter durch den Larynx in die Trachea vorgeschoben wird. Aber wie so oft gilt auch hier: „Size matters!“ Denn während mit einem LISA-Katheter mit einem Durchmesser von 1,5 mm nur etwa 1,8 mm1 der Larynx-Öffnungsfläche blockiert werden, sind es bei einem konventionellen Katheter 13,2 mm1. Da der für LISA verwendete Katheter die Larynxöffnungsfläche bei weitem nicht ausfüllt, kann diese Prozedur unter Spontanatmung erfolgen. Seit 2009 hat die Surfactantapplikation per LISA in Deutschland kontinuierlich zugenommen und wird seit 2015 häufiger eingesetzt als die konventionelle Methode mit klassischer Intubation. Dies geht aus den Daten des German Neonatal Networks (GNN) hervor, in dem Informationen von inzwischen über 18.000 sehr unreifen Frühgeborenen mit Geburtsgewicht unter 1500 Gramm aus über 50 neonatologischen Zentren gesammelt und ausgewertet werden. Diese retrospektiven Beobachtungsdaten zeigen, dass LISA-behandelte Kinder in jedem Gestationsalter eine bessere Chance haben, ohne BPD zu überleben, als Frühgeborene, die konventionell Surfactant erhalten haben. „Diese Datenbank ersetzt keine randomisierten Studien. Aber sie erlaubt uns einen Blick darauf, was ‚da draußen‘ passiert“, so Herting.
Mit LISA steigen die Chancen, ohne BPD zu überleben
Eine aktuelle Metaanalyse hat unterschiedliche Beatmungsstrategien bei Frühgeborenen mit Gestationsalter unter 33 Wochen miteinander verglichen. In diesem Ranking war nach LISA das Risiko von Tod oder BPD am niedrigsten, gefolgt von INSURE (Intubation, Surfactantgabe, rasche Extubation unter CPAP) und NPPV (Nasale Positive Pressure Ventilation). Die Plätze vier und fünf gingen an CPAP allein und die konventionelle mechanische Beatmung, das Schlusslicht bildete die Atmungsunterstützung per Larynxmaske.² Allerdings waren die in die Metaanalyse eingeflossenen Studien sehr unterschiedlich konzipiert und die Qualität ihrer Daten und die damit verbundene Evidenz teilweise nur niedrig, schränkte Herting ein. „Wir brauchen saubere, randomisierte Vergleichsstudien, um zu evaluieren, ob LISA tatsächlich besser ist als INSURE.“
Hinzu kommt, dass LISA kein Verfahren ist, das für sich alleine steht, sondern das in einem Gesamtkonzept der Betreuung gesehen werden muss. „In vielen Zentren, die LISA einsetzen, werden auch andere Dinge anders gehandhabt“, so Herting. Dazu gehört beispielsweise das späte (physiologische) Abnabeln, die Förderung der Spontanatmung des Kindes, ggf. ein etwas höherer CPAP-Level sowie eine frühe Koffeingabe zur Apnoe-Prävention bereits im Kreißsaal. „Angesichts dessen lässt sich kaum unterscheiden, welcher Effekt auf LISA zurückzuführen ist und welchen Einfluss die anderen Maßnahmen im Einzelnen hatten.“
Surfactant-Reflux und Sättigungsabfälle auch unter LISA
Trotz aller Vorzüge kommt es auch unter LISA zu unerwünschten Begleiteffekten. Neben einem Surfactant-Reflux, der relativ häufig auftritt, weil der Katheter den Larynx bei weitem nicht komplett abdichtet, werden auch Sättigungsabfälle und Bradykardien unter der Prozedur beobachtet. „Ganz ähnlich haben wir das jedoch auch unter klassischer Intubation gesehen“, relativierte Herting. Langfristig scheint LISA den behandelten Kindern nicht zu schaden, im Gegenteil. Dafür sprechen die Ergebnisse des Langzeit-Follow-ups im Alter von fünf Jahren, die im GNN erhoben werden. Zwischen den LISA- und den Nicht-LISA-Kindern fanden sich bei gleichem Geburtsalter und Geburtsgewicht keine Unterschiede in Größe, Gewicht und Kopfumfang mit fünf Jahren, auch der Intelligenzquotient und die Rate an Zerebralparesen waren gleich. Ein Unterschied zeigte sich hingegen bei der Lungenfunktion: LISA-Kinder hatten signifikant (p = 0,008) seltener eine Einsekundenkapazität unter 80 % der Altersnorm im Vergleich zu den Nicht-LISA-Kindern.
Unterschiedliche praktische Herangehensweisen
Ganz praktische Aspekte zu LISA kamen in einer Round-Table-Diskussion im Rahmen eines von Chiesi unterstützten Satelliten-Symposiums auf den Tisch: Kajsa Bohlin und Katrin Klebermaß-Schrehof tauschten die Erfahrungen aus, die sie mit LISA in Stockholm und Wien gemacht haben. Seit 2012 ist LISA am Karolinska Hospital eingeführt, es wird aber nicht in den lokalen Protokollen verankert, sondern nach Einzelentscheidung eingesetzt. Dabei wird die Indikation zur Surfactantgabe auf der Intensivstation in Abhängigkeit vom Sauerstoffbedarf (FiO2) gestellt: Für Frühgeborene über 28 Gestationswochen liegt der Cut-off bei einem FiO2 von 0,4, für unreifere Kinder bereits bei 0,3, sofern er ansteigt. Ausschlaggebend für die Entscheidung, ob LISA oder INSURE zum Einsatz kommt, ist unter anderem auch der Atemantrieb, den das jeweilige Kind zeigt.
In Wien gehört die prophylaktische Surfactantgabe mit LISA bereits seit Anfang 2009 zur primären Strategie der Atmungsunterstützung für Frühgeborene unter 28 Gestationswochen. Damit lassen sich 94 % dieser Kinder erfolgreich im Kreißsaal stabilisieren; im Verlauf der ersten Lebenswoche wird eine Intubation nur bei rund jedem dritten dieser unreifen Frühgeborenen erforderlich, schilderte Klebermaß-Schrehof. Eine höhere Rate an CPAP-Versagen beobachtet man in Wien bei Hypoxie/Ischämie, konnatalen Infektionen, schwerer Wachstumsretardierung sowie bei sehr frühem Blasensprung und hypoplastischer Lunge. Wie Klebermaß-Schrehof berichtete, haben sich seit Einführung der prophylaktischen LISA-Prozedur nicht nur die Überlebenschancen für diese sehr unreifen Kinder deutlich verbessert. Gleichzeitig ist auch die Morbidität gesunken und schwere Behinderungen kommen seltener vor. „LISA funktioniert nur dann, wenn das Kind eine gute Spontanatmung entwickelt hat“, mahnte sie. „Daher sollte man den Frühgeborenen nach der Geburt genug Zeit geben, um mit dem Atmen beginnen zu können.“
Gretchenfrage Prämedikation
Um zu vermeiden, dass das Frühgeborene während der LISA-Anwendung in eine Apnoe „abrutscht“, ist es wichtig, ganz besonders sanft, vorsichtig und ruhig vorzugehen. In diesem Zusammenhang spielt auch eine adäquate Prämedikation eine wichtige Rolle, denn wie jede Intubation ist auch LISA für die Frühgeborenen mit Schmerz und Stress verbunden, den auch die unreifsten Kinder bereits empfinden können. Andererseits besteht die Gefahr, durch Sedativa den Atemantrieb zu drosseln, der für LISA unabdingbar ist. Für eine gute Analgesie bei Frühgeborenen gibt es kaum Daten. Da Propofol ausschließlich sedierend, aber nicht analgetisch wirkt, rät Bohlin von dem Einsatz ab – zumal Studien gezeigt haben, dass unter Propofol länger anhaltende Entsättigungsepisoden im Anschluss an LISA auftreten können.³ Ketamin wirkt zwar sowohl sedierend als auch analgetisch, führt aber ebenfalls zu verlängerten Desaturationen und gehäuften Apnoen.⁴ Eine Studie zu dem kurz wirkenden Opioid Remifentanil musste wegen ungenügender Sedierung und gravierenden Nebenwirkungen vorzeitig gestoppt werden.⁵ Vergleichsweise gute Erfahrungen hat man hingegen in Stockholm mit Fentanyl gemacht und darunter keine intubationspflichtigen Apnoen beobachtet.
Im Gegensatz dazu wird in Wien die gesamte LISA-Prozedur ohne pharmakologische Prämedikation durchgeführt. Es kommen lediglich nicht-pharmakologische Maßnahmen wie Schnuller, Zuckerlösung, festes Halten etc. zum Einsatz, um dem Kind die Situation so angenehm wie nur möglich zu gestalten. „Wahrscheinlich spielt auch der Zeitpunkt eine Rolle. Wir verabreichen Surfactant bereits im Kreißsaal, während der ersten Lebensstunde“, so Klebermaß-Schrehof. „Später – nach drei, sechs oder zwölf Stunden – wird es schwieriger.“
Vortrag: „Less invasive surfactant“ (Interdisciplinary session 03: „Pulmonary“) |
Referent: Prof. Dr. Egbert Herting, Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin Lübeck. Diskussion: „LISA experts’ round table“ (ESPR-Session 26: „Improving respiratory transition at birth“) (Satelliten-Symposium „Less invasive surfactant administration – does one size fit all?“, unterstützt von Chiesi) | Diskutanten: Prof. Dr. Kajsa Bohlin, Karolinska University Hospital Stockholm, Schweden, Prof. Dr. Katrin Klebermaß-Schrehof, Department of Pediatrics and Adolescent Medicine, Medical University of Vienna, Wien, Österreich.
Literatur:
[1] Descamps CS et al. Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed 2017; 102: F465.
[2] Isayama T et al. JAMA 2016; 316: 611 – 24.
[3] Dekker J et al. Neonatology 2016; 109: 308 –13.
[4] Bourgoin L et al. Acta Paediatr 2018; 107: 1184 – 90.
[5] de Kort EH et al. Neonatalogy 2017; 111: 172 – 6.
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