Sanfte Strategien nicht mit Gewalt umsetzen
Frühgeborene haben ein deutlich erhöhtes Risiko für langfristige Lungenerkrankungen. Umso wichtiger ist es, ihre Lungen postnatal nicht iatrogen noch zusätzlich zu schädigen. Das ist die Rationale hinter den nicht-invasiven Strategien zur Atmungsunterstützung – allen voran der kontinuierlich positive Atemwegsdruck (CPAP). Die Methode funktioniert für viele Frühgeborene – aber sie hat auch ihre Grenzen. Daher ist es wichtig, ein CPAP-Versagen rechtzeitig zu erkennen und entsprechend zu handeln.
Kinder, die mit „Frühstart“ auf die Welt gekommen sind, haben im Erwachsenenalter in der Regel selbst dann eine deutlich reduzierte Lungenfunktion, wenn sie keine bronchopulmonale Dysplasie (BPD) durchgemacht haben. Deshalb ist ihr Risiko, im Verlauf eine chronisch obstruktive Bronchitis zu entwickeln, sogar höher als bei starken Rauchern. Noch ungünstiger ist die Prognose nach einer BPD (vgl. Abb. B). Daher versucht man, die unreifen, zarten Lungen bestmöglich vor zusätzlichen Traumata zu schützen. „Wir arbeiten unter dem Paradigma, dass eine nicht-invasive Atmungsunterstützung das Beste für Frühgeborene ist“, sagte Charles Christoph Röhr, Oxford. Daher wird statt einer frühen Intubation die primäre Atmungsunterstützung mit CPAP allgemein empfohlen. Doch dass es damit für viele Kinder nicht getan ist, weiß jeder Neonatologe.

Australische Daten wecken Zweifel
Hinzu kommt, dass eine kürzlich erschienene Langzeit-Follow-up-Untersuchung aus Australien Zweifel am Nutzen der nicht-invasiven Strategien geweckt hat (vgl. Abb. C). Dort hat Lex Doyle mit seinen Kollegen die Lungenfunktion von ehemaligen Frühgeborenen der Geburtskohorten 1991/1992, 1997 und 2005 im Alter von acht Jahren miteinander verglichen.¹ Das durchschnittliche Gestationsalter lag bei 26 Wochen, das Geburtsgewicht bei rund 850 Gramm. Man sollte erwarten, dass die im Jahr 2005 geborenen Kinder, die wesentlich seltener und kürzer invasiv beatmet worden waren als die Kinder der Geburtsjahrgänge 1991/1992, in den Lungenfunktionsprüfungen besser abschneiden würden. Doch das Gegenteil war der Fall: Die Lungenfunktion der in 2005 geborenen Kinder war im Alter von 8 Jahren schlechter als die von den Kindern des Geburtsjahrgangs 1991/1992. Außerdem fiel auf, dass die Frühgeborenen im Jahr 2005 – auch nach Adjustierung hinsichtlich weiterer Risikofaktoren – für signifikant längere Zeit Hilfe beim Atmen und zusätzlichen Sauerstoff benötigt hatten.¹
Ist CPAP ein Fehler?
Wie sind diese Daten zu interpretieren? Ist der konsequente Einsatz von CPAP und der Versuch, mit nicht-invasiver Atmungsunterstützung auszukommen, ein Fehler, mit dem man den Kindern langfristig eher schadet? Ganz so schnell sollte man „das Kind nicht mit dem Bade ausschütten“, mahnte Röhr. Er erläuterte, dass zum Beispiel die Rahmenbedingungen in Australien mit einem relativ großen Anteil an extern geborenen Frühgeborenen nur bedingt mit denen in Europa vergleichbar seien und auch beim Management im Kreißsaal gäbe es einige Unterschiede.
CPAP-Versagen ist prognostizierbar
„Wenn CPAP nicht ausreicht, sind nicht die Kinder die ‚CPAP-Versager‘ – es ist das Beatmungsverfahren, das für diese Kinder nicht das Richtige ist“, stellte Röhr klar. „Über diese Kinder müssen wir mehr lernen.“ Denn gerade diese Frühgeborenen haben im Verlauf die schlechteste Prognose.² Zwar kann man nicht für jedes Kind im Voraus sicher sagen, wie gut es mit nicht-invasiver Atmungsunterstützung zurechtkommen wird. Doch es gibt Risiko-Marker, allen voran der inspiratorische Sauerstoffanteil (FiO2), den das Kind während der ersten Lebensstunden benötigt: Macht dieser 0,4 bis 0,6 aus, kann man nahezu sicher davon ausgehen, dass eine Intubation unumgänglich ist. Mit sinkendem FiO2 steigt die Erfolgsrate für CPAP exponentiell an und erreicht bei Raumluft – unabhängig vom Gestationsalter – quasi 100 %.2 „FiO2 und Oxygenierung sind die Schlüsselfaktoren für den CPAP-Erfolg“, fasste es Röhr zusammen. Weitere Risikofaktoren sind niedriges Geburtsgewicht, geringes Gestationsalter und eine fehlende oder unvollständige Lungenreifung mit pränatalen Steroiden.
Insbesondere bei sehr kleinen und sehr unreifen Frühgeborenen mit hohem Sauerstoffbedarf sollten die nicht-invasiven Maßnahmen zur Atmungsunterstützung mit entsprechender Zurückhaltung und Augenmaß zum Einsatz kommen.

Die Nicht-Invasivität nicht übertreiben
„Gerade für die Hochrisiko-Kinder müssen wir lernen, wie wir die Therapie am besten an die individuellen Bedürfnisse anpassen“, betonte Röhr. Eine wesentliche Rolle spielt dabei auch die minimal-invasive Gabe von Surfactant mit dem LISA-Verfahren. Damit lässt sich die Häufigkeit von CPAP-Versagen drastisch reduzieren, wie nicht nur die AMV-Studie eindrucksvoll gezeigt hat.³ Ganz wichtig bleibt jedoch, dass man, wenn sich trotz aller Bemühungen ein respiratorisches Versagen abzeichnet, die nicht-invasive Atmungsunterstützung nicht um jeden Preis fortsetzt, sondern das Kind bei entsprechenden Alarmsignalen rasch intubiert und mechanisch beatmet.
Vortrag: „That extra help – strategies to enhance the success of NIV approaches“ (Satelliten-Symposium „Less invasive surfactant administration – does one size fit all?“, unterstützt von Chiesi)
Referent: Prof. Dr. Charles Christoph Röhr, University of Oxford, Department of
Pediatrics, Neonatal Services, John Radcliffe Hospital Oxford, Großbritannien
Literatur:
[1] Doyle LW et al. N Engl J Med 2017; 377: 329 – 37.
[2] Dargaville PA et al. Neonatology 2013; 104: 8 – 14.
[3] Göpel W et al. Lancet 2011; 378: 1627 – 34.
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