Optionen zur Vorhersage
Derzeit ist es noch schwierig, eine eindeutige Prognose über die neurologische Entwicklung Frühgeborener abzugeben. Prof. Dr. Ursula Felderhoff-Müser, Essen, stellte aktuelle Studien vor, die den Einsatz von Biomarkern als auch klassische Verfahren in der Diagnostik Frühgeborener untersuchten, um das neurologische Outcome dieser Kinder verbessern zu können. Auch Möglichkeiten früher Interventionen werden aktuell wissenschaftlich untersucht.
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Versorgung Frühgeborener verbessert. Es treten deutlich weniger Todesfälle auf als noch vor einigen Jahren. Dennoch ist der Anteil an Frühgeborenen mit Behinderungen über die Zeit konstant geblieben¹, sodass weiterhin Optimierungsbedarf besteht. Gemäß Beschluss des G-BA (Gemeinsamer Bundesausschuss) sollen Frühgeborene im korrigierten Alter von 24 Monaten einer standardisierten entwicklungsneurologischen Verlaufsuntersuchung unterzogen werden². Wünschenswert wäre, dass auch darüber hinaus routinemäßige spezialisierte neurologische Nachuntersuchungen durchgeführt und diese Kinder vor der Einschulung oder im Schulalter erneut untersucht werden, da erst in diesem Alter kognitive Probleme manifest werden. Insbesondere extrem Frühgeborene und Kinder nach perinatalem Insult sollten in ein langfristiges Programm eingegliedert werden, merkte Felderhoff-Müser an.
Biomarker für das neurologische Outcome?
Um das neurologische Outcome von Frühgeborenen vorherzusagen bzw. um Tendenzen abschätzen zu können, werden bereits verschiedene diagnostische Biomarker im praktischen Alltag genutzt, einige befinden sich noch in der Entwicklung. Eine rein klinische Untersuchung Frühgeborener ist zumeist nicht sehr aussagekräftig, sodass spezifischere Untersuchungen (z.B. General movements) zu Rate gezogen werden können, was allerdings sehr zeitaufwendig ist. Praktisch wären Biomarker wie miRNAs im Serum, die zu einem bestimmten Zeitpunkt gemessen werden könnten. Dieser Ansatz befindet sich jedoch noch in einem experimentellen Setting.
Anhand der Daten des GNN (Deutsches Frühgeborenen-Netzwerk) kann untersucht werden, welche genetischen Prädispositionen als Prädiktoren für das neurologische Outcome genutzt werden könnten. So konnte bereits gezeigt werden, dass die Apolipoprotein-E2- und -E4-Polymorphismen relevante Risikofaktoren für intraventrikuläre Blutungen bei Frühgeborenen darstellen.³
Biomarker nach perinataler Asphyxie
Um die Schwere einer hypoxisch-ischämische Enzephalopathie (HIE) vorauszusagen, können neuerdings auch miRNALevel wie miR-181b im Nabelschnurblut von reifen Neugeborenen mit einer perinatalen Asphyxie bestimmt werden, wie eine Studie zeigte.¹⁴ Das tatsächliche Ausmaß der Schädigungen kann postnatal durch eine MRT mit Spektroskopie am Lebenstag⁵⁻⁷ untersucht werden und so Aussagen zur Prognose des Kindes getroffen werden.¹⁰⁻¹² Der beste Prädiktor für das entwicklungsneurologische Outcome im Alter von zwei Jahren ist die Bestimmung der N-Acetylaspartat-Konzentration im Thalamus mittels Protonen-Magnetresonanzspektroskopie (1H-MRS) kurz nach der Geburt von reifen Neugeborenen, die eine therapeutische Hypothermie nach neonataler Enzephalopathie erhielten.¹³
Die hypoxisch-ischämische Enzephalopathie (HIE) ist Folge einer perinatalen Asphyxie. Sie tritt meist bei Reifgeborenen auf und kann mit Tod und/oder neurologischen Defiziten einhergehen. Die Verlegung in ein spezialisiertes Zentrum und die sofortige Einleitung der Hypothermiebehandlung ist notwendig, um den neurologischen Schaden so gering wie möglich zu halten.
Score als Prädiktor für entwicklungsneurologisches Outcome
Wird ein aEEG (amplitude-integrated electroencephalogram) in den ersten 72 Lebensstunden durchgeführt, können Abweichungen auf eine drohende intraventrikuläre Blutung hinweisen und auch für die Langzeitentwicklung prädiktiv sein.⁴ Ein kombinierter Score aus einer MRT (Magnetresonanztomographie) im äquivalenten Alter am errechneten Geburtstermin und dem aEEG-Muster in den ersten 72 Lebensstunden kann als Prädiktor für das entwicklungsneurologische Outcome in einem korrigierten Alter von 24 Monaten genutzt werden.⁵ Die Daten müssen jedoch mit einem größeren Kollektiv validiert werden, fügte Felderhoff-Müser hinzu.
MRT bietet Vorteile gegenüber klassischem Ultraschall
Durch die MRT-Untersuchung und deren Auswertung mit validierten Scores können Auffälligkeiten, die im Ultraschall nicht detektierbar sind, festgestellt werden. Dadurch können Kinder mit einem erhöhten Risiko für eine beeinträchtigte neurologische Entwicklung identifiziert und ggfs. frühzeitig Fördermaßnahmen eingeleitet werden. Eine Auffälligkeit, die sich in der MRT im äquivalenten Alter am errechneten Geburtstermin zeigen kann, sind sogenannte Punctate White Matter Lesions, die im klassischen Ultraschall nicht sichtbar sind. Kinder mit dieser Manifestation weisen ein erhöhtes Risiko für ein beeinträchtigtes entwicklungsneurologisches Outcome auf.⁸ Bei kleinen Frühgeborenen treten zudem häufig zerebelläre Blutungen oder auch zystische Läsionen im Kleinhirn auf, die ebenfalls in einem Routine-Ultraschall verborgen bleiben und erst in der MRT visualisiert werden können. Aus verschiedenen Studien ist mittlerweile bekannt, dass Kleinhirnblutungen oder -läsionen mit einer gestörten Entwicklung einhergehen.⁹ Sowohl für zystische PVL (periventrikuläre Leukomalazie) als auch Zerebralparesen bei Frühgeborenen konnte in den letzten Jahren ein Rückgang der Inzidenz und Schwere beobachtet werden.⁶⁻⁷
Sind frühe Interventionen sinnvoll?
In Studien werden verschiedene Ansätze früher Interventionen untersucht, die ein positives entwicklungsneurologisches Outcome begünstigen könnten. Einige Studien wurden in Essen vorgestellt:
- Die Gabe von Erythropoietin zu Beginn einer Hyperoxie konnte im Tiermodell eine Hyperoxie-induzierte Hirnschädigung reduzieren. Zugleich verbesserte die Behandlung die Kognition der Tiere.¹⁵ Auch bei frühgeborenen Kindern war eine hohe Dosis von Erythropoietin innerhalb von 42 Stunden nach der Geburt mit einem reduzierten Risiko für Hirnschädigung in der MRT assoziiert.¹⁶ Eine weitere Studie (PEANUT-Studie) wird gerade ausgewertet und untersucht die Auswirkungen einer prophylaktischen Langzeittherapie von Erythropoietin bei kleinen Frühgeborenen.
- In einer weiteren Studie wurde der Einfluss von Musik auf die Hirnreifung von Frühgeborenen untersucht. Eine Musikexposition führte zu einer Verbesserung im Burdjalov-Score während der aktiven Schlafphase und weniger Unterbrechungen während der Tiefschlafphase. Musik kann somit den Schlaf bei späten Frühgeborenen fördern.¹⁷
Eine weitere Studie postulierte, dass eine Musikexposition funktionelle Vernetzungen im Gehirn, die mit der Verarbeitung von Musik assoziiert sind, verändern kann.¹⁸
Referenzen
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