Mehr als Händehygiene
Infektionsprophylaxe ruht auf drei Säulen: der Händehygiene, der Einhaltung klar definierter Standardprozeduren und dem klugen Umgang mit einem umsichtigen und durchdachten Screening. Das klingt einfacher, als es ist, wie die Diskussion mit Dr. Susanne Schmidtke, Hamburg, ganz schnell deutlich machte.
Dass eine gute Händehygiene die wichtigste Maßnahme zur Infektionsprophylaxe ist, ist jedem klar. Doch diesem Wissen zum Trotz wird gerade bei der Händehygiene im Alltag immer wieder geschludert – von Ärzten bisweilen mehr als vom Pflegepersonal. Wie kann man erreichen, dass diese einfache Maßnahme vom gesamten Team konsequent beachtet wird? Über den einzig gangbaren Weg waren sich alle Teilnehmer einig: intensive und wiederholte Schulungen inklusive Compliance-Beobachtungen und der Verwendung einer Schwarzlichtbox, die unmissverständlich zeigt, ob und wo Keime der Handhygiene entgangen sind. Einig war man sich aber auch, dass Personalmangel ein absolutes K.o.-Kriterium für gute Handhygiene darstellt.
Die Verwendung von (unsterilen) Handschuhen stellt dagegen eine zweifelhafte Maßnahme dar, die einen der Teilnehmer sogar zu der Äußerung verleitet hat: „Handschuh-Pflege ist moderner Schamanismus“. Denn die Verwendung von Handschuhen kann in trügerischer Sicherheit wiegen und dazu verleiten, das konsequente Händewaschen und -desinfizieren weniger ernst zu nehmen. Wer sich aber Handschuhe anzieht, ohne die Hände vorher gut desinfiziert zu haben, kontaminiert beim Anziehen automatisch die Außenflächen dieser Handschuhe. Bei der Windelpflege mögen Handschuhe ihre Berechtigung haben – darüber hinaus sollte man den Einsatz gut abwägen, so der Tenor.
Viele Patientenkontakte – hohes Übertragungspotenzial
Die zweite Säule sind Standards für die unterschiedlichsten Prozeduren – beispielsweise bei der Anlage eines zentralen Venenkatheters. Solche Standards dürften in jeder Klinik existieren und geben genau vor, welche Hygienevorschriften jeweils einzuhalten sind. Analog sollte es auch für die Eltern, die sich auf der Station aufhalten, genaue Vorgaben geben, damit sie einen engen Kontakt zu ihrem Kind haben können, ohne ungewollte Risiken heraufzubeschwören.
Bei unreifen Frühgeborenen auf der NICU kommt es pro Schicht im Schnitt zu 80 Kontakten mit dem Pflegepersonal, die mit Manipulationen und Interventionen einhergehen. „Das ist ein hohes Risiko für die Übertragung von Erregern“, so Schmidtke. Solche Kontakte und Prozeduren lassen sich natürlich nicht verhindern. Aber man kann sie optimal organisieren, um die Kontaminationsgefahr zu reduzieren und dem Frühgeborenen Stress zu ersparen – was sich wiederum günstig auf seine Immunabwehr auswirkt. Häufig ist es günstig, zu zweit am Kind zu arbeiten: Einer hält das Frühgeborene, kann ihm vielleicht auch Glucose oder Saccharose zum Saugen geben und kümmert sich um seinen Komfort, während der andere durchführt, was eben durchzuführen ist, riet Schmidtke.
Einmal positiv, immer positiv
Das dritte Standbein sind Screening- und Überwachungsmaßnahmen, die nicht nur bei den Frühgeborenen, sondern auch bei den Eltern die Besiedelung erfassen sollten, um die Infektionslage zu kennen und Ausbrüchen rechtzeitig vorbeugen zu können. „Die Konsequenz darf jedoch nicht sein, Eltern von der Station fernzuhalten. Der enge und intensive Hautkontakt zwischen Eltern und Frühgeborenem ist zwingend erforderlich – nicht nur aus Gründen des Mikrobioms“, stellte Schmidtke klar. Sie plädierte dafür, Eltern und Kind mikrobiologisch als Einheit zu betrachten: Wenn sich ein Elternteil als besiedelt erweist, sollte man daher auch das Kind so behandeln, als wäre es ebenfalls besiedelt. Aus dem Grund empfahl Schmidtke, auch von den Eltern mindestens bei der Aufnahme einen Rachen- und einen analen Abstrich abzunehmen, was nicht unwidersprochen blieb. Wer einmal einen positiven Abstrich bezüglich multiresistenter gramnegativer Erreger hatte, der sollte auch weiter im Verlauf immer als besiedelt betrachtet werden. Denn der kulturelle Nachweis erfordert eine so hohe Keimlast, dass ein negativer Abstrich eine anhaltende Besiedelung nicht ausschließt.
Serratia marcescens ist Spitzenreiter der gefürchteten Keime
Jeder Erreger hat sein spezifisches epidemisches Potenzial, das zum einen davon bestimmt wird, wie rasch er sich von Kind zu Kind ausbreiten kann, und zum anderen davon abhängt, wie schnell er krank zu machen vermag und wie gravierend diese Erkrankung ist. „Der ‚Böseste‘ ist da ganz klar die Serratie“, stellte Schmidtke fest. „Wenn man diesen Keim findet, sollte man die Aufmerksamkeit nochmals verdoppeln.“ Dass Serratien mindestens ebenso ernst zu nehmen sind wie ein gegen vier Antibiotika resistenter gramnegativer Erreger (4-MRGN), waren sich alle Teilnehmer einig. Je nach Virulenz sind standardisierte Verhaltens- und evtl. auch Isolationsstrategien indiziert, die unter allen Berufsgruppen abgestimmt sein müssen – dazu gehören nicht nur Mikrobiologen und Krankenhaus-Hygieniker, sondern auch das gesamte Betreuungsteam auf der Station: Physiotherapeuten, Pflegekräfte, Ärzte, Reinigungspersonal – einfach alle.
Einen Schutz vor Infektionen stellt eine „Besiedlungssteuerung“ dar – durch sie soll die Etablierung eines optimalen Mikrobioms gelingen. Wie ein optimales Mikrobiom genau aussieht, ist weitgehend unbekannt. Der Kontakt zu gesundem Mikrobiom (zum Beispiel durch Kangarooing mit den Eltern) beeinflusst das Mikrobiom günstig. Sicher hilfreich bei der Etablierung sind Muttermilch und der umsichtige Einsatz von antibakteriellen Substanzen, möglicherweise auch der Einsatz von Probiotika.
Der Einsatz von Antibiotika sollte so sparsam wie möglich und nur nach gründlicher Abwägung erfolgen. „Das geht nur mit regelmäßigem Screening und guter Surveillance – dann wissen Sie, womit Sie es zu tun haben und können schon in der vermeintlich ‚empirischen‘ Therapie besser handeln“, so Schmidtke.
Wenn sich im Screening eine Ausbreitung abzeichnet, sollte umgehend ein Ausbruchsteam etabliert werden. „Da müssen diejenigen Personen rein, die handlungsfähig sind, sprich: auch der Krankenhaus-Chef.“ Denn er kann entscheiden, dass Schichten personell aufgestockt werden, oder im schlimmsten Fall sogar die Schließung der Station anordnen. „Solche Entscheidungen dürfen nicht zu langsam getroffen werden und müssen auch gut kommuniziert werden – das haben wir in der Vergangenheit mehrfach erfahren“, riet Schmidtke.
Keine Antibiotika-Prophylaxe
Antibiotika müssen der Therapie vorbehalten bleiben – in der Infektionsprophylaxe haben sie nichts zu suchen. Sie begünstigen nicht nur die Entwicklung von Resistenzen, sondern reduzieren die Diversität des physiologischen Mikrobioms und schwächen damit dessen protektive Eigenschaften. „Antibiotika retten Leben, aber es ist anspruchsvoll, sie richtig einzusetzen“, brachte es Schmidtke auf den Punkt. Die Indikation zum Beginn einer antibiotischen Therapie, meist mit Ampicillin und Gentamycin, bei Verdacht auf eine Earlyonset-Seapsis wurde übereinstimmend dann gesehen, wenn ein Kind klinisch auffällig ist und gleichzeitig ein Anstieg des Interleukins 6 nachweisbar ist. Steigt dann im Verlauf das C-reaktive Protein nicht an, würde diese Therapie nach spätestens 48 Stunden wieder beendet werden.
Antibiotic Stewardship
Der Begriff „Antibiotic Stewardship“ (ABS) fasst Bemühungen zur Verbesserung der Antibiotikaverordnungspraxis zusammen. Mindestens ein Mitarbeiter der NICU sollte über eine entsprechende Fortbildung verfügen, um zu gewährleisten, dass die erforderlichen Maßnahmen systematisch und sinnvoll miteinander koordiniert und umgesetzt werden. Entsprechende Kurse bieten unter anderem die ABSFortbildungsinitiative der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (www.antibiotic-stewardship.de) und die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene ( www.antibioticstewardship.de ) an.
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