Was tun mit Nabelschnurblut?
Möglichst viel Blut aus Plazenta und Nabelschnur in den kindlichen Kreislauf zu transferieren, ist das Ziel des späten Abnabelns, das derzeit in vielen Kliniken praktiziert wird. Andererseits gibt es Anbieter, die empfehlen, Nabelschnurblut für spätere Einsatzmöglichkeiten in einer Blutbank zu lagern. Doch wer das eine will, muss das andere lassen: Nach verzögertem Abnabeln reicht das verbleibende Blut für eine Nabelschnur-Blutspende meist nicht mehr aus, weiß Dr. Lars Mense, Dresden.
Höhere Hämoglobin- und Ferritinspiegel, eine verbesserte Hirn-Myelinisierung und sogar ein besseres neurologisches Outcome im Alter von vier Jahren kann man Neugeborenen bescheren – einfach dadurch, dass man das Durchtrennen der Nabelschnur für kurze Zeit aufschiebt.¹⁻³ Daher empfehlen die Leitlinien des European Resuscitation Council, mit dem Abnabeln mindestens eine Minute zu warten.⁴ Auch Frühgeborene profitieren davon, denn ihr Transfusionsbedarf und die Mortalität sinken.⁵ Erkauft werden diese Vorzüge allerdings durch einen erhöhten Bedarf an Phototherapie.
Wann der beste Zeitpunkt zum Abnabeln gekommen ist, ist derzeit noch nicht eindeutig geklärt. „Vielleicht ist die Zeit auch gar nicht der wesentliche Punkt, sondern vielmehr die Atmung“, so Mense. Diese Überlegung liegt dem sogenannten „physiologischen“ Abnabeln zugrunde, bei dem die Nabelschnur so lange belassen wird, bis das Kind eine stabile Spontanatmung etabliert hat. Eine niederländische Arbeitsgruppe um Arjan te Pas hat dazu eigens eine spezielle Behandlungseinheit entwickelt, die es ermöglicht, das Frühgeborene mit intakter Nabelschnur in unmittelbarer Nähe zur Mutter zu versorgen und auch bei der Atmung zu unterstützen.⁶ 33 von insgesamt 37 in einer FeasabilityStudie auf diese Weise erstversorgten Frühgeborenen (Gestationsalter im Schnitt 31 Wochen) konnten dort nach Spontangeburt oder Sectio erfolgreich und ohne nennenswerte Bradykardien stabilisiert werden; die Nabelschnur wurde bei ihnen im Mittel erst nach etwa viereinhalb Minuten durchtrennt.
Wie sich in der Diskussion herausstellte,tendiert man in den meisten Kliniken weniger zu einer verzögerten Durchtrennung der Nabelschnur als eher zum Ausstreichen der Nabelschnur (cord milking). Grund dafür ist häufig die Befürchtung, dass das Frühgeborene beim verzögerten Abnabeln leichter auskühlen könnte. Hinzu kommt, dass das Abnabeln in manchen Kliniken in den Händen der Gynäkologen liegt, in anderen in denen der Hebammen – „Hier gibt es eine große Variabilität“, so Mense.
Nabelschnurblut als Quelle für Stammzellen
In Nabelschnur-Blutbanken kann Nabelschnurblut für eine spätere Nutzung konserviert werden. Während sich öffentliche Institutionen auf allogene Anwendungsmöglichkeiten spezialisiert haben, fokussieren private Nabelschnur-Blutbanken in erster Linie auf die Möglichkeit des autologen Einsatzes. Solche Nabelschnur-Blutspenden sind allerdings nur möglich, wenn nicht zu spät abgenabelt wird, weil sonst in der Plazenta nicht mehr ausreichend Blut für eine sinnvolle Einlagerung vorhanden ist. Während die Blutmenge bei sofortiger Abnabelung in 40% der Fälle ausreichend ist, sinkt dieser Anteil nach einer Minute auf weniger als die Hälfte und nach über zwei Minuten auf winzige 6%. „Nabelschnurblut stellt für uns auch eine reiche Quelle für Stammzellen dar“, gab Mense zu bedenken, – allen voran die mesenchymalen Stammzellen, die man aus dem Nabelschnurblut, aber auch aus der Nabelschnur selbst gewinnen kann. Die Stammzelltherapie, beispielsweise im Falle einer bronchopulmonalen Dysplasie, basiert allerdings auf allogenen Stammzellen, sodass die Sorge, dass man durch verzögertes oder Physiologie-basiertes Abnabeln dem Frühgeborenen im Bedarfsfall die Chance auf eine solche Therapie nimmt, wohl unbegründet ist.
Blutentnahme aus der Nabelschnur
Eine weitere Einsatzmöglichkeit für Nabelschnurblut ergab sich im Laufe der Diskussion: Dieses Blut eignet sich nämlich auch, um Infektionsparameter wie C-reaktives Protein oder Interleukine daraus zu bestimmen und dem Kind so eine direkte Blutentnahme zu ersparen. Für ein Blutbild ist Nabelschnurblut hingegen nur bedingt geeignet, da dort häufiger Thrombozytopenien gesehen werden, die sich in der darauffolgenden Kontrolle aus kindlichem Blut nicht bestätigen, so Mense.
[1] McDonald SJ, Middleton P, Dowswell T, Morris PS. Effect of timing of umbilical cord clamping of term infants on maternal and neonatal outcomes. Cochrane Database Syst Rev 2013; 7: CD004074.
[2] Mercer JS, Erickson-Owens DA, Deoni SCL, et al. Effects of delayed cord clamping on 4-month ferritin levels, brain myelin content, and neurodevelopment: a randomized controlled trial. J Pediatr 2018; 203: 266–72.
[3] Andersson O, Lindquist B, Lindgren M, et al. Effect of delayed cord clamping on neurodevelopment at 4 years of age: a randomized clinical trial. JAMA Pediatr 2015; 169: 631–8 .
[4] Wyllie J, Bruinenberg J, Roehr CC, et al. European Resuscitation Council Guidelines for Resuscitation 2015: Section 7. Resuscitation and support of transition of babies at birth. Resuscitation 2015; 95: 249–63.
[5] Fogarty M, Osborn DA, Askie L, et al. Delayed vs early umbilical cord clamping for preterm infants: a systematic review and meta-analysis. Am J Obstet Gynecol 2018; 218: 1–18
[6] Brouwer E, Knol R, Vernooij ASN, et al. Physiological-based cord clamping in preterm infants using a new purpose-built resuscitation table: a feasibility study. Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed 2018 Oct 3. doi: 10.1136/archdischild-2018-315483 [Epub ahead of print].
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