Blau leuchtendes Virus

Neonatologische Lektionen aus der COVID-Pandemie

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Die vielen Restriktionen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie, insbesondere die beiden Lockdown-Episoden, haben das Leben in allen Teilen der Bevölkerung und den Zugang zur medizinischen Versorgung stark beeinflusst. Insbesondere für Schwangere hatte dies erhebliche Auswirkungen. Das spiegelt sich unter anderem in der Frühgeburtsrate wider, die in Ländern mit hohem Einkommen während der strengen Lockdown-Phasen spürbar abgenommen hat. Gleichzeitig ist in manchen Studien die Rate der Totgeburten angestiegen.

Eine aktuelle Studie hat nun einen detaillierteren Blick auf die Zusammenhänge geworfen. Sie basiert auf bevölkerungsweiten Daten, die von der Landesarbeitsgemeinschaft Qualitätssicherung Hessen (LAGQH) erhoben wurden und umfasst Daten zu allen Lebend- und Totgeburten von Kindern mit mindestens 500 Gramm und/oder 22+0 Gestationswochen im Bundesland Hessen im Erfassungszeitraum. 


Untersucht wurden insbesondere die beiden strikten Lockdown-Phasen vom 14.03. bis 15.05.2020 und vom 19.10. bis 31.12.2020 sowie der Zeitraum mit etwas weniger ausgeprägten Restriktionen zwischen 16.05. und 18.10.2020. Die Daten dieser Untersuchungsabschnitte wurden mit denen aus den korrespondierenden Zeiträumen während der Jahre 2017 bis 2019 verglichen. 


In der Pandemie-Ära vom 14.03. bis 31.12.2020 wurden in Hessen 44.481 Kinder geboren, davon 9.207 während des ersten und 10.204 während des zweiten Lockdowns. Darunter waren 572 Kinder (1,29 %), die mit einem Gestationsalter unter 32 Wochen als sehr unreife Frühgeborene (very preterm, VPT) zur Welt gekommen waren. In den gleichen Zeiträumen in den Jahren 2017 bis 2019 hatte diese Rate bei 1,47 % gelegen. Dieser Rückgang zeichnete sich insbesondere in der letzten Lockdown-Phase besonders deutlich ab. Während zwischen März und Mai noch kein signifikanter Unterschied nachweisbar war (Odds Ratio [OR] 1,01; 95%-Konfidenzintervall [CI] 0,83–1,22), sank die OR für eine VPT-Geburt zwischen Mai und Oktober auf 0,90 (95%-CI 0,79–1,02) und war statistisch hochsignifikant (p>0,001) zwischen Oktober und Dezember mit einer OR von 0,69 (95%-CI 0,55–0,84). Die Rate der Totgeburten war hingegen unverändert. 


Die pränatale Betreuung blieb von den Restriktionen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie unbeeinflusst: So zeigten sich zwischen dem Pandemie-Zeitraum und der Kontrollperiode keine Unterschiede bei der Anzahl der Vorsorgeuntersuchungen, die die Mütter wahrgenommen hatten, der Versorgung mit pränatalen Steroiden, im Entbindungsmodus oder der Häufigkeit von notfallmäßig durchgeführten Kaiserschnitten. Auch die mütterlichen Basisdaten wie mütterliches Alter, das Auftreten von Schwangerschaftsdiabetes oder Blutungen, die Anzahl von Kaiserschnitten, Komplikationen oder Frühgeburten im Rahmen vorheriger Schwangerschaften etc. waren unverändert. Allerdings kam es bei schwerer mütterlicher Erkrankung im Pandemiezeitraum seltener zu einer VPT als in den präpandemischen Jahren (OR 0,64; 95%-CI 0,50–0,83). 


Betrachtet man die Gründe für die Frühgeburt, fällt auf, dass während der Pandemie insbesondere intrauterine Infektionen und pathologische Kardiotokogramme eine geringere Rolle gespielt haben. Dagegen ist die Häufigkeit von Frühgeburten aufgrund von mütterlichem Bluthochdruck, Präeklampsie, Eklampsie oder HELLP-Syndrom, intrauteriner Wachstumsverzögerung oder Plazentainsuffizienz gleichgeblieben.


Die Autoren sehen einen Zusammenhang zwischen den während der Pandemie geltenden strengeren Hygieneauflagen und Kontaktbeschränkungen einerseits und dem Rückgang an intrauterinen Infektionen als Frühgeburtsursache. Möglicherweise könnten die Lockdown-Maßnahmen bei den Schwangeren auch zu einer Reduktion von Stress und Anspannung geführt haben. Dies könnte man sich in der Primärprävention von Frühgeburtlichkeit zunutze machen – ein Aspekt, der insbesondere angesichts der seit Jahren steigenden Frühgeburts-Inzidenz zunehmend an Bedeutung gewinnt. Die Tatsache, dass der Rückgang der Frühgeburten nicht in allen Lockdown-Phasen gleich ausgeprägt war, sondern sich vor allem zwischen Oktober und Dezember 2020 manifestiert hat, macht deutlich, dass die Prävention von Frühgeburtlichkeit sich nicht auf das dritte Trimester beschränken darf, sondern die gesamte Dauer der Schwangerschaft berücksichtigen muss. 

Referenzen

Staude B, Misselwitz B, Louwen F, Rochwalsky U, Oehmke F, Köhler S, Maier RF, Windhorst AC, Ehrhardt H. Charaktertistics and Rates of Preterm Births During the COVID-19 Pandemic in Germany. JAMA Network Open 2024; 7(9): e2432438.

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